Forschung


 

Lange bevor die Ostschweizerische Gesellschaft für Höhlenforschung OGH in den fünfziger Jahren ihre Tätigkeit im Obertoggenburg aufnahm, waren die Donnerlöcher auf den Churfirstenalpen den Einheimischen bekannt – so genannt, weil hineingeworfene Steine lange «donnerten».


Ins Rauchloch auf der Alp Selamatt, eine 280 Meter tiefe Schachthöhle, stiess 1962 erstmals eine ganzwöchige Expedition vor. Auch die anderen Donnerlöcher wurden nacheinander erforscht, vermessen, beschrieben und kartographiert.

Im Toggenburg sind die vertikalen Höhlen in der Überzahl. Zu deren Erforschung wurden damals 300 Meter Drahtseilleitern und zwei Seilwinden für die Sicherung im Eigenbau hergestellt – eine wahre Materialschlacht!

Die Köbelishöhle mit ihrem 160 Meter tiefen Eingangsschacht und einer Gesamttiefe von 340 Metern war das letzte Forschungsobjekt der damaligen Gruppe, bevor sie sich auflöste und die Höhlenforschung im Toggenburg in einen Dornröschenschlaf versank.


In den Kühlschränken der Unterwelt

Ende der siebziger Jahre machte sich eine neue Generation an die Erforschung der Unterwelt. Von den Erzählungen der alten Garde in den Bann gezogen, suchten sie emsig nach dem «Höllloch» der Churfirsten.

Auch die Faszination Köbelishöhle mit ihren beeindruckenden Schächten ging nicht verloren. Ausgerüstet mit einer neuen Technik zur Höhlenbefahrung, gelang es ihnen bis zu einer Tiefe von 550 Metern vorzudringen. Das machte die Köbelishöhle damals zu einer der tiefsten Höhlen der Schweiz.

Nebst verschiedenen Horizontal- und Vertikalhöhlen fanden die Forscher in den achtziger Jahren den Sibirschacht am Fusse des Zuestolls.

Dieser wurde nach den gleichnamigen Kühlschränken benannt, da es sich um äusserst frostige Touren handelte. Bevor sein Endpunkt bis minus 330 Meter gefunden werden konnte, musste der Eingang mittels eines Statikers, einiger Eisenträger, eines starken Volvos und vieler tatkräftiger Helfer abgesichert werden – es lauerte die Gefahr eines Verschlusses durch Schnee und Eis, der jahrelang die weitere Erforschung verunmöglicht hätte.

Dies war die letzte «grosse Tat» der Gruppe, bevor sich ihre Mitglieder in alle Winde zerstreuten und die Donnerlöcher der Churfirsten erneut vor sich hinschlummerten.

Erst anfang der neunziger Jahren sollten sie wieder belebt werden. Eine Gruppe der OGH, aus der im Jahr 2000 die Toggenburger Gesellschaft für Höhlenforschung TGH hervor ging, teilte das ganze Gebiet in Zonen und Sektoren ein, um eine systematische Erforschung zu ermöglichen.

Nebst vielen neuen Höhlen werden auch die altbekannten nachvermessen, um den aktuellen Standards der Höhlenforschung gerecht zu werden, unter anderem einer genaueren Messmethodik und der Oberflächenvermessungen mittels GPS. Gleichzeitig ist es möglich, sämtliche Daten digital zu erfassen, zu verarbeiten und zu archivieren.


Der Lebenszyklus einer Höhle

Eine Höhle entsteht in einem langen Prozess, der an bestimmte Voraussetzungen geknüpft ist. In fast jedem Gestein können Höhlen entstehen, allerdings bedingen ausgedehnte Gangnetze unterirdische Wasserwege und «lösliches» Gestein. Karbonat-Gestein wie Kalk und Dolomit sind verkarstungsfähig, sie sind durch Wasser löslich. Die vorhandenen Ritzen und Fugen im Gestein werden erweitert, bis schliesslich eine Höhle entsteht. Ein Prozess, der Jahrtausende, ja hunderttausende von Jahren dauert.

In den Churfirsten finden wir mächtige Kalkschichten. Dazwischen aber auch undurchlässige Gesteine, auf denen sich das unterirdische Wasser sammelt. Durch die Alpenfaltung sind diese Schichten vielfach zerbrochen, verschoben und gequetscht. Es entstehen Verwerfungen, Brüche und Kluftfugen, die dem Wasser Angriffsflächen bieten. So sind zum Beispiel die Donnerlöcher entlang derartiger Klüfte entstanden.

Auch Höhlen haben einen Lebenszyklus. Bis sie entstanden sind, vergeht eine lange Zeit. Danach folgt eine Periode, in der sie als Wasserwege aktiv sind. Irgendwann findet das Wasser einen noch tieferen Abflussweg, und so geschieht es, dass vorher von Wasser bearbeitete Gänge trocken fallen und fossil werden.

Zu einem späteren Zeitpunkt wird die Höhle durch Einsturz zerstört, oder die darüberliegende Oberfläche wird – etwa durch Gletscher und Erosion – abgetragen. In den Höhlen der Churfirsten treten all diese «Lebenszyklen» einer Höhle auf.

Die Churfirsten sind sehr niederschlagsreich, trotzdem gibt es fast keine ständig fliessenden Oberflächenbäche. Tief unter der Oberfläche sammeln sich gewaltige Wassermassen. Bis jetzt ist es noch niemandem gelungen, in diese Bereiche vorzustossen, um zu berichten, wie es dort unten aussieht. Es bleibt die Frage: Was geschieht mit dem Wasser?

Wasser für den Walensee

In den Jahren 1991 bis 1993 fand ein Projekt mit dem Namen «Tracerhydrologische Untersuchung der Churfirsten-Alvierkette» statt. Aufgrund guter Erfahrungen mit einem gleichen Projekt im Alpstein einige Jahre zuvor, und da wir den Untergrund dieser Gegend erforscht hatten, wurden wir Höhlenforscher gleich zu Beginn der Arbeiten mit einbezogen.

Am Ende einer Schneeschmelze schütteten wir gleichzeitig einen hochkonzentrierten, harmlosen Farbstoff in die uns bekannten Höhlenbäche. Aus sämtlichen möglichen Wasserausflüssen wurden während längerer Zeit Wasserproben entnommen und nach dem Farbstoff untersucht. Es stellte sich heraus, dass das gesamte in den Churfirsten verschwindende Wasser in den Walensee abfliesst, ebenso ein Teil des Thurwassers, welches bei Starkenbach versickert.

Das sich in immer grösseren Gängen sammelnde Wasser gelangt durch mehrere Öffnungen, die sich 25 bis 36 Meter unter dem Seespiegel befinden, in den Walensee. Die Rinquelle bei Betlis bildet dabei den natürlichen Überlauf dieses Systems.

Bei Schneeschmelze oder grossen Niederschlagsmengen ergiesst sich ein gigantischer Wasserfall aus dem Berg. Bei Winterkälte und längeren regenfreien Perioden fällt sie trocken und bietet Tauchern Gelegenheit, die grösstenteils wassergefüllten Gänge zu erkunden.